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Der Patchwork Engel

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Patchwork (patch=Flicken, work=Arbeit) ist viele hundert - ja vermutlich sogar
tausend Jahre alt. Menschen hatten schon immer Freude daran, mit Stoff zu experimentieren und Neues zu schaffen.

Das was man heute unter Patchwork versteht, geht vor allem auf amerikanische
und britische Traditionen zurück. Im Folgenden versuche ich einen Überblick
über die, meiner Ansicht nach, wichtigsten Entwicklungen zu geben -
natürlich ohne Anspruch auf Vollständigkeit.

Viel Spaß beim Schmökern!

Stand 09.04.2022

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USA

Das 19. Jahrhundert ist besonders interessant für die Geschichte des Patchwork.

Um 1840 war die Ostküste der Vereinigten Staaten schon so dicht besiedelt, dass sich viele Pioniere mit Pferdefuhrwerken und zu Fuß in Richtung Westen aufmachten.
Sie hofften dort auf fruchtbares Land, ein mildes Klima und ein angenehmes Leben. Die ersten Siedler erreichten Kalifornien im Jahre 1841. 
Als der Goldrausch im Jahre 1848/49 ausbrach, zog es nochmals abertausend Menschen in die westlichen Gebiete. Dabei ließ so Mancher Freunde, Familie - aber manchmal auch einen großen Schuldenberg hinter sich.

Oftmals begleiteten Frauen ihre Männer und sorgten dafür, dass trotz aller Strapazen so etwas wie ein Familienleben aufkam. Allerdings durften die Frauen nur wenig Habseligkeiten mitnehmen, der Platz war äußerst begrenzt. Es ist belegt, dass viele Frauen alle Kleider, die sie mitnehmen wollten am Leib trugen - in vielen Schichten. Das was nach einiger Zeit nicht mehr als Kleidung brauchbar war, wurde dann sorgfältig zerschnitten und aufbewahrt, um es später für die Herstellung von Quilts für das neue Zuhause zu nutzen.

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Pionierfrauen waren niemals untätig - es gab immer etwas zu tun

Ein ziemlich düsteres Kapitel der Geschichte, das von den Amerikanern selbst als “national shame” bezeichnet wird, ist das der Sklaverei.
Massenversklavungen von Menschen aus Schwarzafrika fanden vom 16. Jahrhundert bis in die Mitte des 19. Jahrhunderts statt. 

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Die Gefangenen wurden als billige Arbeitskräfte auf den Baumwollfeldern vor allem in den amerikanischen Südstaaten eingesetzt. Zum Zeitpunkt der offiziellen Abschaffung der Sklaverei im Jahre 1865 gab es dort mehr als 4 Millionen Sklaven.

Used by permission of C&T Publishing from the book, "Facts & Fabrications -
Unraveling the History of Quilts and Slavery" by author Barbara Brackman

Die Lebensbedingungen waren für die Sklaven zum Teil so unerträglich, dass sie ihr Heil in der Flucht suchten. Die Legende besagt, dass Quilts in dieser Zeit Geheimbotschaften übermittelten. An den Mustern eines Quilts, der im Garten an der Wäscheleine hing, konnten entlaufene Sklaven sehen, ob ihnen der Hauseigentümer wohlgesonnen war. Hier konnten sie auf eine warme Mahlzeit oder auch einen Schlafplatz hoffen. 

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Drunkard’s Path

Die Muster “Double Wedding Ring” und “Drunkard’s Path” sollen sogar wie eine Art Landkarte den Flüchtigen, den Weg in die Freiheit gewiesen haben.

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Double Wedding Ring

 

Die Zeit des amerikanischen Bürgerkriegs (Sezessionskrieg) von 1861 bis 1865, mit dessen Ende die offizielle Abschaffung der Sklaverei einherging, war eine Blütezeit für die Entstehung einiger der schönsten Quilts der Ära.

Frauen haben - während sie auf das Ende des Krieges und auf die Rückkehr ihrer Liebsten warteten - allein oder in Gesellschaft an vielen gemeinnützigen Projekten gearbeitet. Sie stellten beispielsweise wärmende Decken für die Soldaten auf den Schlachtfeldern her. Die Quilts enthielten allerdings keine Vlieseinlage, um Platz im Marschgepäck zu sparen. Die Soldaten konnten dann auf den Schlachtfeldern trockenes Laub oder Stroh einfüllen. So hatten sie eine wärmende Decke, gefüllt mit den guten Wünschen von den Lieben daheim. Kamen sie auf dem Schlachtfeld ums Leben, wurde ihr Quilt zur Totendecke und mit begraben.

Manche Frauen warteten allerdings auch vergeblich auf die Rückkehr ihrer Männer und Söhne! Der Krieg kostete insgesamt 650.000 Menschen das Leben.

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Ein sehr berühmter Quilt aus dieser Zeit wird nach seiner Schöpferin Jane Stickle “Dear Jane”genannt.

Jane hat diesen Quilt, der aus 5602 Einzelteilen besteht, im Jahre 1863 komplett mit der Hand genäht.

Die 169 Blöcke, 108 Dreiecke und 4 Eckstücke, sind entweder gepatcht oder appliziert und kein Muster oder Stoff der einzelnen Blöcke und Dreiecke wurde mehrmals verwendet.

Man kann den Original-Quilt im Bennington Museum in Bennington, Vermont, USA einmal im Jahr bewundern.

Mittlerweile sind Frauen auf der ganzen Welt von diesem wunderschönen Quilt fasziniert.

Ich muss gestehen auch an mir ist das Dear-Jane-Fieber nicht vorüber gegangen und vor zwei Jahren wollte ich es dann wissen. Ich habe mich auf die “Journey” gemacht.
Jeder einzelne Block und jedes Dreieck wurde auf Schablonenmaterial
vorgezeichnet und von Hand genäht. Momentan quilte ich meinen “Baby Jane”.
Wirklich ein Abenteuer, das noch nicht zu Ende ist.

“Baby Janes” werden übrigens alle dem Original nachgearbeiteten Quilts genannt. Viele Anregungen und Informationen zu diesem Projekt finden Sie auf der Dear-Jane-Homepage.

Das Buch zum Quilt von Brenda Papadakis (z.B. bei Quiltmaus in Hamm übers Internet erhältlich, bei Amazon momentan vergriffen, in den USA könnte man Glück haben) enthält zwar alle Blöcke und Dreiecke, allerdings leider wenig detaillierte Nähanleitung.

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Großbritannien

Belege für Patchwork und Quilting in Europa wie wir es heute kennen, reichen bis ins Mittelalter zurück.
Ritter trugen unter ihren Rüstungen gequiltete Leder- oder Leinenkleidung und die Messgewänder von hohen Geistlichen waren in aufwendiger Patchworkarbeit gefertigt. 

 Stoff war in der vorindustriellen Zeit sehr wertvoll und zeitaufwendig
in der Produktion. Daher war eine Patchwork Bordüre an
einem Kleidungsstück oder gar eine ganze Decke eine
außergewöhnliche Kostbarkeit.

Dies änderte sich erst mit der industriellen Revolution, als Stoff einfach und kostengünstig maschinell hergestellt werden konnten.

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Messgewand um 1540

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antiker Baltimore Quilt

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antiker Medallion Quilt

Während des Zeitalters der Renaissance wurde der dekorative Aspekt des Quiltens immer wichtiger. Kleidung und Decken waren aufwendig gearbeitet, verziert und gequiltet. Im Laufe der Zeit entdeckte auch die ärmere Bevölkerung Patchwork-Arbeiten für sich.

Quilts begannen eine immer größere Rolle im Leben der Menschen zu spielen. Die älteste Tagesdecke aus Seide, die noch erhalten ist,  stammt aus dem Jahre 1718 und wurde über Papier gearbeitet.

Als Ende des 18. und Anfang des 19. Jahrhunderts die ersten Briten in die USA auswanderten, nahmen sie natürlich Ihre Bräuche und Traditionen mit. So finden sich auch heute noch viele traditionelle britische Formen des Patchwork in den amerikanischen Quilts. Beispiele hierfür sind die aufwendig applizierten Baltimore Quilts, sowie die typisch viktorianischen Medallion Quilts. 

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Jane Austen ist eigentlich als Schriftstellerin des frühen 19. Jahrhunderts bekannt. Berühmte Romane von ihr sind beispielsweise Emma oder Stolz und Vorurteil

Man weiß, dass sie zwar begeistert gestickt hat, aber war sie auch eine Patchworkerin? Ein wunderschöner Quilt wird mit ihr in Verbindung gebracht, da er sich heute im Familienbesitz der Nachfahren von Jane Austen befindet. Sie soll zusammen mit ihrer Schwester und Mutter einen Quilt entworfen und genäht haben. Jane hat wahrscheinlich einige Nähte mit Überwendlingsstichen genäht.
Eigentlich ist es gar kein richtiger Quilt, da es sich nur um das Top handelt. Wattierung und Rückseite fehlen.  

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”Jane Austen” Quilt

Crazy Victorian Patchwork

Das 19. Jahrhundert wird in England auch viktorianisches Zeitalter genannt. Queen Victoria regierte von 1837 bis 1901 und prägte dieses Jahrhundert entscheidend. 

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Freizeit - ein Wort, das damals nur wohlhabende Frauen kannten - war purer Luxus. Ein Mann, dessen Frau Zeit hatte aufwendige Näharbeiten zu fertigen, hatte den sozialen Aufstieg geschafft.

 In dieser Zeit kam eine Art des Patchwork auf, bei der scheinbar alles erlaubt ist - Crazy Patchwork oder auch Crazy Quilting genannt. Stoffstücke aller Art - egal ob Samt, Seide oder Baumwolle - werden je nach Gefallen angeordnet und mit aufwendigen Ziernähten versehen. Spitze, Bänder oder manchmal auch Perlen runden das üppige Bild ab. Stoffe wurden teilweise über viele Generationen weitergeben und gesammelt, so dass eine Datierung dieser Quilts besonders schwierig ist. 

Literaturempfehlung:

Brackman Barbara: Unraveling the History of Quilts & Slavery. C & T Publishing. Lafayette 2006.

Chutchian Betsy: Gone to Texas; Quilts from a pioneer woman’s journal. Kansas City Star books. Kansas City 2009

Dallas, Sandra: The Quilt that Walked to Golden; Women and Quilts in the Mountain West. Breckling Press. Elmhurst 2007.

England Kaye: Voices of the Past; A history of Women’s Lives in Patchwork. Kaye England Publications, Carmel 1994.

Judith Montano: Crazy Quilt Odyssey; Adventures in Victorian Needlework. C & T Publishing. Lafayette 1991.

Linda Franz: Jane Austen; Patchwork Mystery. Published by Linda Franz. Burlington 2009.

 

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